lovrary

Sonett 104: Mir, Schöner Freund, Erscheinst Du Nimmer Alt

Mir, schöner Freund, erscheinst Du nimmer alt; Denn so wie ich Dich einst zuerst erblickte Stralt Deine Schönheit noch. Drei Winter kalt Raubten dem Hain, womit der Lenz ihn schmückte. Wie Frühling sich in gelben Herbst verkehrt Hab' ich, im Lauf des Jahr's dreimal gesehn, Wie Sommersgluth des Mayen Duft verzehrt; Doch Deine Schönheit sah ich nicht vergehn. Und doch kann Schönheit unbemerkt entweichen, Wie auf der Sonnenuhr die Stunden rücken, So kann auch Deine zarte Farb' erbleichen Die dauernd scheint, den gern getäuschten Blicken. Drum dürft ihr wohl, ihr künft'gen Menschen klagen Es starb der Schönheit Lenz vor unsren Tagen.